«The operated user» – Interfaces as persuasive games
Wo wir stehen, wenn es um Interfaces geht, mit denen wir uns selbst vermessen, unser Verhalten aufzeichnen und diese Daten dann mit anderen teilen und vergleichen (von „Quantified Self“ im Fitnessbereich bis hin zum „Frictionless Sharing“ von Konsumhandlungen) – darüber können wie heute nur mutmaßen. Nehmen wir diese vielleicht noch offene Situation zum Anlass, hinter die Werbefassade von sog. Selbstoptimierungsdiensten zu schauen – auf die Rhetorik ihrer Interfaces. Denn dort zeigt sich, was wir schnell übersehen, wenn wir uns ausschließlich um unsere Privatsphäre sorgen: Die Interfaces von Selbstoptimierungsdiensten machen unser Verhalten nicht (nur) sichtbar, sie verändern Verhalten. Nicht die Transparenz der Daten problematisiert Lebensweisen, sondern die algorithmischen und visuellen Verfahren ihrer Übersetzung in glaubwürdige Informationen. Daten über uns auswertende Interfaces suggerieren, besser und schneller als wir selbst zu wissen, was gut für uns ist – und sie bahnen mögliche Zukünfte. Provokant könnte man sagen: Sie schaffen den Nutzer als autonomen Akteur ab, sie machen Entscheidungen und Urteilsbildung delegierbar. Zu diesem Zwecke borgen sich ihre Interfaces auf der einen Seite die Sprache „seriöser“ Disziplinen – Dashboards, Diagramme und Verlaufskurven, bekannt aus dem Ingenieurswesen, der Wirtschaft und der Wissenschaft, schaffen Vertrauen. Auf der anderen Seite borgen sie sich Mechanismen des Spiels – Wettbewerbe, Rankings und Belohnungen konditionieren unseren inneren Schweinehund und bringen Spaß in die Selbstverbesserung. Als „seriös gamifizierte“ Interfaces nehmen sie uns in den Dienst einer normativen Vorstellung von einer besseren – effizienten, gesunden, ausgeglichenen – Gesellschaft. Und das möglicherweise nicht nur in beabsichtigter Weise. Denn die Kunst der Selbstlüge, das soziale Rollenspiel, Leben und Entscheiden als Trail und Error – Handlungsspielräume des Menschen, die ein Echtzeit-Tracking zum Zwecke der Selbstoptimierung abzuschaffen droht – sind elementare Zivilisationstechniken, ob wir uns das nun eingestehen wollen oder nicht. Wenn sie wegfallen, hat das tiefgreifende Konsequenzen für das soziale Zusammenleben. Auf Basis eines Selbstexperiments und einer semiotischen Interface-Analyse stellt der Beitrag die zugegeben etwas dystopische Idee des «operated users» zur Diskussion: die Umkehrung des Verhältnisses von Interface und Nutzer. In den Worten von Kevin Slavin: „Who is the user in that scenario? Maybe it‘s not you.“ Der Vortrag entwickelt Thesen zur Wirkung (seriös gamifizierter) Interfaces und stellt ihnen fünf Spielregeln zur Wiederaneignung des Körpers und des Denkens durch den Nutzer gegenüber.
Daniela Kuka – Kommunikationsforscherin, Autorin, entwickelt spielbasierte Methoden /// wissenschaftliche Mitarbeiterin an der UdK Berlin, lehrt dort Gesellschaft- und Wirtschaftskommunikation mit den Schwerpunkten Persuasion und Interaktion, Spiel und Innovation /// Promotionsprojekt zur Methode „Preenaction“ /// Mitgründerin von pre∆lab /// Forschungs- und Beratungsprojekte im Bereich Innovationsforschung, Zukunftsmanagement und Organisationsentwicklung /// bis 2009 Senior Researcher für interaktive Dramaturgie im Ars Electronica Futurelab Linz.